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Zur Geschichte des Kunsthaus Tacheles

Anfang der Neunziger Jahre exponierte sich die wilde Vorhut der Berliner Creative Class auf herrenloser Flur. Das Kunsthaus Tacheles schrieb als Echokammer der 80er-Jahre und begehrtes Schmuddelkind des Berlin-Tourismus in der Ruine einer prachtvollen Kaufhauspassage 22 Jahre lang Kulturgeschichte, die niemanden unversehrt ließ. Es hat sich als Gesamtkunstwerk in die Erinnerung graviert und seine umstritttenen Meriten werden nun vom Areal Am Tacheles, das als nagelneues Luxusquartier für Aufsehen sorgt, vereinahmt. Die “identitätsstiftende” Architektur der Nobelpassage  hausiert mit dem Label des einstigen Tacheles, das von Lust, Kunst und Dramen geprägt war, insbesondere von skurrilen Tragödien, die traumatische Krater bei den Beteiligten hinterliessen und einen Mythos, der als massentaugliche Überlieferung die Geschichte überschreibt und dabei die brachialen Umbrüche der Neunziger Jahre ausklammert. 


Als Zeugin und Täter erzählt Su Tiqqun von den Widersprüchen, den Irrtümern und Höhepunkten, den Unzumutbarkeiten und Katastrophen im Tacheles, indem sie Wirklichkeit rekonstruiert und die sozialen Verwerfungen des DDR-Verschwindens thematisiert – gewappnet mit einer unbequemen Wahrheit, um die Geschichte der Tacheles-Ära zu erzählen zu können: „Man muss die Toten ausgraben, wieder und wieder, denn nur aus ihnen kann man Zukunft beziehen.” (Heiner Müller). 


Die Toten des Tacheles, ihr Scheitern und Wirken, die überdimensionierte Pracht des Passagenbaus, der kurz nach seiner Fertigstellung 1909 pleite ging, der Selbstbetrug der Investoren, die das Tacheles und seine sonderbare Stellung zwischen Hoch- und Subkultur verwerten, deuten eine Hybris an, an der bisher alle Nutzer des Geländes gescheitert sind. Wir werden sehen.


Aus dem Klappentext

„Als Roman und Dokumentation lässt uns die Handlung von Zeugin und Täter – stilistisch breit gefächert – an einer Vernunft teilhaben, die sich keine Zukunft bescherte. 

Kunsthäuser werden gegründet und bleiben bis zum Systemwechsel, Hausbesetzungen – wie kreativ auch immer – werden terminiert, oder – noch schlimmer – legalisiert, und in den Kunstmarkt integriert.

Wer immer mal wieder ins Tacheles schneite, konnte was erleben, für die Insassen jedoch war es schon bald nach Gründung das Böse Haus. Da allerdings schon die 1905 gedungenen Architekten der Friedrichstassenpassage, die das Tacheles vor dem totalen Abriss rettete, megalomane Intuitionen hatten, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Zweit- und Drittnutzer in die Irre laufen, besonders in jener Krisen- und Umbruchsituation.

Anstatt Befreiung von staatlichen Zwängen, die ein Aufbruch hätte sein können, holten sich die Besetzer und späteren Betreiber freiwillig immer mehr Zwänge ins Haus, unter denen sie dann notgedrungen litten. Von den Medien gehätschelt und geschmäht, hilflos und selbst schuld, versuchten sie, diese Bürde anderen Schultern aufzulasten. Su war eine von diesen Schultern, die – mehr oder weniger gewollt bzw. gezwungen – einen lebensrettenden Absprung schaffte. 

Ihre spezielle und erfrischend unkommerzielle Aufarbeitung des Tacheles-Komplexes, die hiermit einen Abschluss findet, thematisiert den Kampf gegen Entfremdung, Unterdrückung und Ausbeutung – gegen jede Form von Bedrückung. Auch über unsere Köpfe hinweg. Dafür ist dieses Buch ein weiterer Anstoß.“ (Bert Papenfuß)


Moloko Print 187 | 2022
© Su Tiqqun
Cover. Su Tiqqun
Typesetting & Layout. rag, Wien
Font. Garamond
Druck. BookPress.eu
www.molokoplusrecords.de
ISBN 978-3-948750-93-0

Preis: 24,00 Euro


su tiqqun. Wolfgangseestörung. Novelle

Wolfgangseestörung

Reisenovelle
Verlag Art Science 
Wien - St. Wolfgang, 2011 

Kuschelironie und Wellnessrhetorik kann man dieser Sicht auf den Wolfgangsee nicht unterstellen. Rebellische Kammlagen-
kritik aus dem Blickwinkel einer Arbeitsnomadin – das trifft es schon eher. Kaiserselige Operettenwerbung? Putzsüchtige Imagepflege? Weit gefehlt.

WOLFGANGSEESTÖRUNG ist eine Kulturgeschichte en miniature, die im Past-Forward-Verfahren die Debilitätsgrenzen des Fremdenverkehrs aufzeigt. Doch dessen ungeachtet wird der Wolfgangsee, dieses blaue Schlitzauge, seinen pittoresken Charakter sicher bewahren. 

su tiqqun. Trojaproben. Gedichte

Trojaproben

Pamphlete
Verlag Art Science 
Wien - St. Wolfgang, 2012

DENKPROTHESEN - wir bewegten uns in durchsichtigen schläuchen, bestückt mit membranen, aus denen popige dauerwellen fließen. ein swank, um die xy-generation zu erheitern. subtile musik, durch die sich unhörbar botschaften zwängten, gab den klängen ein unwider-stehliches gepränge, doch wir zerfielen zu langsam, der strahlwinkel der bassschwachen flüstertüte war zu weit, um die einstellungen der auserwählten testpersonen exakt morphen zu können. die hirnrinde erwies sich widerstandfähiger als angenommen. wir sangen nach einiger zeit im frühtau zu zwerge und heil dir im dealerkranz, waren nicht mehr ganz sicher, ob das der falsche text war. immerhin bemerkten wir, dass unser stoffwechsel elendsprodukte ausschied, die für die technologen unbrauchbar waren. die unerwünschten handlungen hatten zu statt abgenommen.

Su tiqqun. Heldenrückstände. Gedichte

Heldenrückstände

Verdichtete Listen
Siebdruckbroschur
Edition Rothahndruck, 2016

BLUTFROST - an einem der tage die sich nach antwort sehnen, starbst du dich aus der ferne hervor ohne auszublühen. es herrscht blutfrost die himmel magern sich aus.

HELDENRÜCKSTÄNDE - ausgemustert die überjährigen leerstellen ohne heldenrückstände auch langjährige erfolgsniederschläge fanden keine haftung an der fahrspur erfahrung ausgemustert dieser gedächtnislappen dessen fasern panisch versuchen mit der hoffnung kontakt aufzunehmen ausgemustert diese hungermuskeln die ihr sehnen strecken über der spalte welt die uns trennt ausgemustert diese endlosphrasen verziert mit heuchelei, die deine die meine, die mattgeschliffene faser, die uns zusammenhielt.

Su tiqqun. Hirnspagat

HIRNSPAGAT

Lyrik ohne Absatz
Siebdruckbroschur
Edition Rothahndruck, 2017

PARIS MONTREUIL - an der schwelle zur grauzeit empfing mich kalinow auf den springenden planken unserer freiluftküche | wir umarmten uns und die zehn gebote gleichzeitig | gott war nicht in der nähe | wir mochten die ruine die uns obdach bot | eine manufaktur mit sturmgeschlitzten glasdachblenden | ein loch in der zeit licht funzelte nur in schlafverschlägen wasser holten wir im supermarkt | auf ’s clo gingen wir afrikanisch | das intime befeuchtend mit nassen händen | hosengrat trocknete den waschvorgang und fehlende seife kultivierte den verzicht.